Hygiene fängt schon im Kleinen an Feuerwehr-Einsatzkräfte sind im Laufe ihrer Tätigkeit einer Vielzahl von Gefahrstoffen ausgesetzt. Im Gegensatz zum typischen ABC-Einsatz ist bei Brandeinsätzen nicht gekennzeichnet, welche gefährlichen Stoffe sich mit dem Brandrauch ausbreiten. In der Regel finden auch keine Messungen statt, wo welche Brandrauch-Gefahrstoffe noch in welcher Konzentration vorliegen, wenngleich die charakteristische Zusammensetzung von Brandrauch gut untersucht ist. In diesem befinden sich unter anderem verschiedene akut und chronisch giftige sowie krebserzeugende Stoffe – und das in großen Mengen. Kerstin Wahl, M. Sc. Rettungsingenieurwesen Redaktion brandSchutz/Deutsche Feuerwehr-Zeitung Stuttgart In dieser brandSchutz-Ausgabe stellt die Feuerwehr im nordrhein-westfälischen Lünen ihr Hygienekonzept sowie dessen Umsetzung mithilfe eines Gerätewagens »Hygiene« ausführlich vor. Für kleinere Feuerwehren ist die Beschaffung eines eigenen Fahrzeugs zum Zweck der Hygiene oft nicht denkbar, doch es kann bereits im Kleinen viel erreicht werden. Notwendig ist dafür zunächst das Wissen, warum eine Einsatzstellenhygiene erforderlich ist, um die allgemeine Akzeptanz für die entsprechenden Hygienemaßnahmen zu steigern. Problematisch ist dabei, dass die Auswirkungen unzureichender Hygienemaßnahmen meist nicht unmittelbar wahrgenommen werden, da sich die potenziell resultierenden Erkrankungen häufig erst später entwickeln. Aufklärung ist hier das A und O. Als Nächstes benötigt jede – auch noch so kleine – Feuerwehr ein Hygienekonzept. Dieses beinhaltet technische und organisatorische Maßnahmen. Manches davon ist in der Praxis nicht einfach umzusetzen, beispielsweise wenn alte Gebäude am Feuerwehrstandort noch keine strikte Schwarz-Weiß-Trennung zulassen. Die folgenden Punkte kann allerdings jede Feuerwehr realisieren: Im Brandeinsatz ist unbedingt auf die korrekte Tragweise der Persönlichen Schutzausrüstung und des Atemschutzes zu achten, sodass keine Undichtigkeiten entstehen. Dazu gehört auch, dass die Dichtlippen der Atemanschlüsse störungsfrei, also ohne Bartbehaarung, anliegen müssen – dies gilt auch bei Überdruckgeräten. Nur so kann eine Inkorporation wirkungsvoll verhindert werden, wie Untersuchungen zeigen. Durch Brandrauch kontaminierte Einsatzkleidung sowie Gerätschaften sind noch an der Einsatzstelle abzulegen und es muss eine detaillierte Vorgehensweise festgelegt sein, wie diese transportiert sowie gereinigt werden, ohne die Kontamination in die Mannschaftsräume der Einsatzfahrzeuge zu verschleppen. In den Einsatzfahrzeugen sind dafür Ersatzkleidung und Hygieneeinrichtungen zur persönlichen Reinigung an der Einsatzstelle mitzuführen. Bei lang andauernden Einsätzen ist eine sorgfältige Auswahl des Verpflegungspunkts im Rahmen der Raumplanung ebenso wichtig wie die Reinigung von Händen, Hals und Gesicht vor der Nahrungsaufnahme. Nach der Rückfahrt muss es eine Möglichkeit zum Duschen sowie zur Reinigung der (Schutz-)Kleidung am Feuerwehrstandort geben. Eine Kontaminationsverschleppung nach Hause soll so verhindert werden. Schlussendlich muss jeder Feuerwehrangehörige für seine eigene Gesundheit und die seiner Familienangehörigen eintreten und die Hygienemaßnahmen auch anwenden. Dann kann bereits durch wenige sorgfältige Verhaltensweisen viel erreicht werden, denn: Hygiene fängt schon im Kleinen an. 12/24 Deutsche Feuerwehr-Zeitung 903
Christian Märkert | Michael Thiel | Robin Möller | Julian Offen Hygienekonzept der Feuerwehr Lünen Neuer Gerätewagen Hygiene zur Umsetzung eines Zwei-Stufen-Konzepts Eine Projektgruppe der Feuerwehr Lünen hat im Rahmen des 2021 erstellten Brandschutzbedarfsplans ein »Hygienekonzept für den abwehrenden Brandschutz und die Hilfeleistung bei alltäglichen Feuerwehreinsätzen« erstellt. Zusätzlich zu einem Zwei-Stufen-Konzept für die Einschätzung der kontaminierten Einsatzkräfte wurde auch ein neuer Gerätewagen Hygiene beschafft, um die Einsatzstellenhygiene sicherzustellen. Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in die grundlegenden Überlegungen der Projektgruppe sowie in das Zwei-StufenKonzept und in die Arbeitsweise mit dem neuen Gerätewagen Hygiene. 908 angenommenen Abwägungen sowie Arbeitshypothesen während der Erstellung des Hygienekonzepts dargelegt. Zahlen, Daten und Fakten zur Feuerwehr Lünen Die Stadt Lünen unterhält als große kreisangehörige Stadt des Kreises Unna am Rande des östlichen Ruhrgebiets, mit zirka 89 000 Einwohnern und einer Fläche von zirka 60 Quadratkilometern, eine Berufsfeuerwehr an einer zentralen Feuer- und Rettungswache sowie sieben Einheiten der Freiwilligen Feuerwehr im Stadtgebiet. Die Freiwillige Feuerwehr ist in die Einsatzabteilung, die Unterstützungsabteilung, die © 2024 W. Kohlhammer, Stuttgart Aus dem 2021 von dem Rat der Stadt Lünen verabschiedeten und extern erstellten Brandschutzbedarfsplan geht die Notwendigkeit hervor, Transportkomponenten für die Einsatzstellenhygiene bereitzustellen. Dafür bietet sich eine Kombination der Sonderaufgaben »Atemschutz« und »Einsatzstellenhygiene« an. Weiterführende interne Überlegungen haben dazu geführt, dass auch die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr an der Einsatzstelle mit in das Konzept eingeflossen ist. Eine Anfang 2022 dafür einberufene Projektgruppe hat sich mit der Erstellung eines »Hygienekonzepts für den abwehrenden Brandschutz und die Hilfeleistung bei alltäglichen Feuerwehreinsätzen« mit der Berücksichtigung bereits vorhandener Studien, Fachempfehlungen und Fachartikel beschäftigt. Mit einbezogen wurde eine Atemschutz- und eine Einsatzstellenlogistik. In diesem Beitrag wird das nunmehr erstellte und eingeführte »Hygienekonzept der Feuerwehr Lünen für den abwehrenden Brandschutz und die Hilfeleistung bei alltäglichen Feuerwehreinsätzen« beschrieben. Für den Rettungsdienst existiert bereits ein eigenständiges Hygienekonzept, welches in diesem Beitrag nicht näher beschrieben wird. Die Trennung der beiden Konzepte beruht auf der Überlegung, dass die Hygienemaßnahmen im Rettungsdienst nicht direkt für die ehrenamtlichen Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr anwendbar sind. Zudem werden in diesem Beitrag die getroffenen und Kinderfeuerwehr, die Jugendfeuerwehr und die Ehrenabteilung gegliedert. Als Facheinheit wird ein Zug für Einsätze mit atomaren, biologischen oder chemischen Gefahrstoffen (ABC-Zug) vorgehalten. Mit zirka 140 Mitarbeitern in drei Wachabteilungen sowie im Tagesdienst der Berufsfeuerwehr und den ungefähr 300 Mitgliedern in der Einsatzabteilung und in der Unterstützungsabteilung der Freiwilligen Feuerwehr stehen in Lünen insgesamt zirka 440 Einsatzkräfte zur Erfüllung der Aufgaben nach dem Brandschutz-, Hilfeleistungs- und Katastrophenschutzgesetz zur Verfügung. Die Stadt Lünen ist als große kreisangehhörige Stadt, zusätzlich zum Kreis Unna, der Träger von sechs Standorten der Rettungswachen – davon eine Feuer- und Rettungswache sowie zwei Notarztstandorte im Stadtgebiet Lünen. Auf Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit der Nachbarstadt Selm verpflichtet sich die Stadt Lünen, die gesetzlichen Aufgaben im Rettungsdienst für das Stadtgebiet Selm zu übernehmen und die Einsatzbereitschaft der dortigen Rettungswache Darstellung des Stadtgebiets Lünen mit den Standorten der Freiwilligen Feuerwehr und deren Ausrückebereiche, dem Standort der Berufsfeuerwehr sowie den Standorten der Rettungswachen. Deutsche Feuerwehr-Zeitung 12/24
Grundsätzliche Überlegungen und Annahmen Im Rahmen der Erstellung des Hygienekonzepts sollen organisatorische und technische Anpassungen an bereits bestehende Erkenntnisse der Einsatzstellenhygiene sowie der Atemschutz- und der Einsatzstellenlogistik anknüpfen. Sowohl die personellen Strukturen, die örtlichen Gegebenheiten im Stadtgebiet Lünen als auch die bereits vorhandene Infrastruktur zur Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft nach Einsätzen wurden beurteilt und für das zu erstellende Gesamtkonzept umfassend betrachtet. Anhand diverser Fachempfehlungen und weiterer Literaturstellen sind die folgenden Punkte im Hygienekonzept der Feuerwehr Lünen implementiert worden: • allgemeine Maßnahmen zur Expositionsvermeidung; • ein Zwei-Stufen-Konzept anhand der zu erwartenden exponierten Einsatzkräfte; • organisatorische und technische Maßnahmen zur Dekontamination von exponierten Einsatzkräften; • die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft an der Einsatzstelle mit dem Ausschluss einer Kontaminationsverschleppung; • der Abtransport und die Aufbereitung kontaminierter Gerätschaften mit dem Ausschluss einer unbewussten Kontaminationsverschleppung; • die Festlegung von Hygienestandards an der Einsatzstelle und innerhalb der Standorte der Feuerwehr Lünen. Eine Exposition der Einsatzkräfte mit Gefahrstoffen kann in Feuerwehreinsätzen häufig vorkommen. Für den ABC-Einsatz regelt dabei die Feuerwehr-Dienstvorschrift (FwDV) 500 »Einheiten im ABCEinsatz«, welche Schutz- und Hygienemaßnahmen für die Einsatzkräfte zu treffen sind [1]. Bei Brandeinsätzen sind insbesondere im Brandrauch Gefahrstoffe enthalten. Vor einer Inkorporation über die Atemwege in Folge des Brandrauchs wird sich mithilfe geeigneter Atemschutzgeräte (Isolier- oder Filtergeräte) auf der Grundlage der FwDV 7 »Atemschutz« geschützt [2]. Zudem besagt die Information 205-014 »Auswahl von persönlicher Schutzausrüstung für Einsätze bei der Feuerwehr« der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dass bei deren Beachtung der Träger der Feuerwehr davon ausgehen kann, dass er damit geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen und Gesundheitsgefahren getroffen hat [3]. Die Atemschutzgeräte sowie die Persönliche Schutzausrüstung (PSA) werden in der Regel im Brandeinsatz kontaminiert. Kontaminierte Einsatzkleidung und Einsatzgeräte können Brandrauch, welcher mit Gefahrstoffen gleichzusetzen ist, ausgasen. Bei der Technischen Hilfeleistung kann ebenfalls eine Kontamination der Einsatzkleidung und der Einsatzgeräte erfolgen. Daher wird im Hygienekonzept festgelegt, dass für die alltäglichen Einsatzszenarien eine Dekontamination der Einsatzkräfte, der Ausrüstungen, der Fahrzeuge sowie der Geräte der Feuerwehr zur Vermeidung von Gesundheitsschäden und von Gefahrstoffverschleppungen sofort möglich sein muss. Dies sollte bereits an der Einsatzstelle und nicht erst in der Feuer- und Rettungswache der Berufsfeuerwehr oder in den Feuerwehrhäusern der Freiwilligen Feuerwehr erfolgen. Während der Projektphase diente insbesondere die DGUV-Information 205-035 »Hygiene und Kontaminationsvermeidung bei der Feuerwehr« als Orientierung und Leitfaden [4]. Das »Hygienekonzept der Feuerwehr Lünen für den abwehrenden Brandschutz und die Hilfeleistung bei alltäglichen Feuerwehreinsätzen« hat das Ziel, Feuerwehrangehörige vor eventuell gesundheitsgefährdender Kontamination zu schützen und dieser wirksam entgegen zu treten. Die Hygienemaßnahmen sind bei der Einsatzplanung, der Einsatzvorbereitung und der Einsatzdurchführung zwingend zu berücksichtigen. Gefahrstoffexposition bei Feuerwehreinsätzen Bei allen Feuerwehreinsätzen ist eine Kontamination der Einsatzkräfte möglich. Bei Bränden kann es beispielsweise nahezu unabhängig von den am Brand beteiligten Materialien zur Bildung einer Vielzahl von Gefahrstoffen kommen. Je nach Brandobjekt oder der Bauart des betroffenen Objekts beziehungsweise der verwendeten Bau- und Werkstoffe kann es beispielsweise außer zu Brandgasen noch zur Freisetzung von Fasern und Stäuben kommen. Im Gegensatz zum ABC-Einsatz sind diese Gefahrstoffe nicht gekennzeichnet und wären nur durch aufwändige und teilweise langwierige Messungen nachweisbar. Die grundlegende Zusammensetzung und die Einstufung von Brandrauch ist mittlerweile gesichert untersucht und bekannt [4]. Anzeige iconos® Löschkugel 360° Speed Alle Produkte finden Sie auf unserer Website: Hier wird Löschen neu gedacht! ✓ Die Löschkugel wird mittels dem angekuppelten Handrohr ins Zentrum des Feuers platziert ✓ Zum Löschen direkt in Innenräumen ✓ Stabile Führung und hohe Beschleunigung iconos® Vertriebs GmbH info@iconos-system.com Tel.: +49 (0)203-74 14 69 www.iconos-system.com 12/24 Deutsche Feuerwehr-Zeitung 909 © 2024 W. Kohlhammer, Stuttgart nach dem jeweiligen Bedarfsplan des Kreises Unna sicherzustellen. Zwei Rettungswachen sowie die beiden Notarztstandorte werden von der Berufsfeuerwehr Lünen selbst betrieben. Die Notärzte stellt das ansässige Sankt Marien Hospital Lünen. Das Personal für die anderen drei Rettungswachen wird im Auftrag der Stadt Lünen vom Kreisverband Lünen des Deutschen Roten Kreuzes gestellt. Im Durchschnitt wird die Feuerwehr Lünen pro Jahr zu 1 000 bis 1 200 Einsätzen im Brandschutz und in der Technischen Hilfeleistung alarmiert. Die Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr werden zu zirka 20 Prozent der Einsätze mitalarmiert. Statistisch gesehen bedeutet dies drei Alarmierungen am Tag für die Berufsfeuerwehr und alle ein bis zwei Tage eine Alarmierung für die Freiwillige Feuerwehr. Im Rettungsdienst erfolgen ungefähr 24 000 Alarmierungen pro Jahr.
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