Bachelorprojekt Leonhard Burmester Wintersemester 2021–2022 Prof. Guido Englich KM Benjamin Schief
retten? Hinter jedem Bissen, den wir essen, steckt eine komplexe Geschichte von ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Vorgängen. Mit jedem Bissen akzeptieren und bestärken wir diese dahinter stehenden Bedingungen. food culture empowerment 4 Design-Stra tegien für Au tonomie und Vielfalt bei der Erzeugung, Kultivierung und Distribu tion von Nahrungsmitteln Die Herstellung von Nahrungsmitteln hat einen immensen – und häufig schädlichen – Einfluss auf unsere Mitwelt. In diesem Projekt wollen wir uns die Entstehungsgeschichten unserer Lebensmittel bewusst machen und verstehen, warum die Wahl unseres Essens mehr ist als nur eine Geschmacksentscheidung … Wir wollen untersuchen, welchen Einfluss wir auf die Entstehung und Herstellung unseres Essens haben können – in der Erzeugung, in der Kultivierung und Haltbarmachung ebenso wie in der Erweiterung der Vielfalt an Essbarem und Geschmackserlebnissen. Darüberhinaus wollen wir herausfinden, welche Möglichkeiten und Wege sich durch die Verbindung von traditionellen Kulturtechniken mit aktuellen oder experimentellen Technologien eröffnen. 5
6 8–9 Rückblick 10–11 Re-Cut 12–13 Vacui 14–19 Recherche 20–21 Inspiration 22–23 Konzept 24–31 Versuchsaufbauten 32–43 Formfindung & Planung 44–51 Fertigungsprozess 52–59 Finaler Prototyp 60–61 Ausblick 62 Quellen 7
8 Rekapitula tion der ersten Semesterwochen mit Exkursion nach Südtirol, vorbereitender Recherche und Fermenta tionsworkshop Das Semester hat mit einer Exkursion nach Südtirol begonnen. Die kulinarisch interessante Region hat in den letzten Jahrhunderten einen Wandel von der stark bäuerlichen Bewirtschaftung mit Selbstversorungscharakter hin zu einer modernen, überregionalen Landwirtschaft gemacht. Dabei trifft Innovation auf Tradition. Das Zentrum der Exkursion war der Stanglerhof von Heiner Mayer Kaibitsch. Ein, auch über Südtirol hinaus bekannter Bio Hof, der mit einem neuen Verständnis für Landwirtschaft und Ernährung ein Ort des Wandels, des Lernens und der Kultur darstellt. Dort fanden Fermentationsworkshops mit Carlo Nesler, diverse Kostproben und ein spannender Austausch statt. Zwölf Recherchethemen, vom Essen als soziale Handlung über Lebensmittelverschwendung bis hin zu Future Food, bereiteten den Einstieg in den Themenkomplex. Zusammengefasst, in einem umfangreichen Wissenskompendium, dienen sie als Nachschlagewerke für die kommende Projektarbeit. Im Workshop „Fermentation hoch 2”, ein Master-Tutorial von Dean Weigand, ging es um traditionelle Kulturtechniken die mit aktueller Technologie in Verbindung gebracht werden. Dabei sind experimentelle Versuchsaufbauten entstanden mit Fokus auf Gestaltungsmöglichkeiten und Optimierungspotenzial von Prozessen von Werkzeugen. Food Culture Empowerment Exkursion nach Südtirol Food Culture Empowerment Themen Recherchen Food Culture Empowerment Workshop Fermentation2 Die vollständigen Dokumentationen sind per QR-Code einsehbar 9
10 Intro des Re-Cuts Filmische Aufarbeitung des Recherchethemas „Lebensmittelverschwendung“ mit Nikolaus Hössle 11 12 Millionen Tonnen Lebensmittel landen, allein in Deutschland, jährlich im Müll. 52% davon in Privathaushalten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Von schlechter Lagerung und Schädlingsbefall in der Landwirtschaft, über Transportprobleme und Überproduktion bis hin zu visuellen Mängeln und abgelaufene, Mindesthaltbarkeitsdatum. Klar ist, dass die Beziehung zu Lebensmitteln, besonders in der westlichen Welt, in Schieflage geraten ist – Weg von einem Mittel zum Überleben hin zu einem Produkt des Überflusses. Der Re-Cut soll anhand einer filmischen Collage den Gegensatz von Wertschätzung und Überfluss zeigen und mit Szenen aus Filmen, Dokumentationen und Situationen des Alltags die Absurdität hervorheben.
12 Vakuum. Der luftleere Raum als Werkzeug Das Vakuum ist ein praktisches Hilfsmittel zur Haltbarmachung von Lebensmitteln. Es hilft bei der Konservierung, Portionierung sowie der Zubereitung. Der erste Kontakt zum professionellen Vakuumieren enstand in der Küche des Stanglerhofes in Südtirol. Dort wird eine Vakuumkammer eingesetzt, um größere Mengen Lebensmittel zu portionieren, sicher zu verpacken und lagerfähig zu machen. Zurück in Halle wurde beim wöchentlichen, kursinternen Kochabend das Vakuum genutzt, um Gemüse und Obst per Sous Vide Garmethode schonend zuzubereiten. Das Ergebnis: Ein intensives Aroma und eine perfekte Konsistenz. Fasziniert von den ökonomischen und kulinarischen Vorteilen des Vakuums entstand das Interesse einer tiefergehenden Auseinandersetzung. Wie kann das Vakuumieren zu einem alltäglichen Ritual werden? Wie lassen sich Einwegbehälter verhindern? Lassen sich vorhandene Mehrwegbehälter nutzen? 13
14 Physik Hintergrundwissen rund um das Thema Vakuum, Lebensmittelverschwendung und Haltbarmachung Atmosphäre, Raum, Druck Das Vakuum, von dem lateinischen Wort vacuus „leer“ oder „frei“, bezeichnet einen materiefreien Raum. Es gibt unterschiedliche Vakuumqualitäten deren Druck in Pa (Pascal) oder mbar (Millibar) angegeben werden. Das Grobvakuum ist ein leichter Unterdruck der beispielsweise bei Glühlampen, Staubsaugern oder auch Vakuumverpackungen verwendet wird. Qualitativere Vakua wie das Hoch- oder Ultrahochvakuum werden für physikalische Gerätschaften wie Teilchenbeschleuniger benötigt. Ein vollständiges Vakuum ist im bekannten Universum nicht vorhanden und lässt sich auch nicht mit technischen Mitteln erzeugen. 15
Philosophie, Experimente, Attraktionen 16 Konservierung Verpacken, Haltbarmachen Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. hatte Leukipp, ein griechischer Philosoph, eine Idee vom Vakuum. Die Vorstellung vom leeren Raum, in dem sich unteilbare Teilchen bewegen, war eine essenzielle Säule der epikureischen Philosophie. Aristoteles lehnte diese Annahme jedoch ab. Er konnte sich eine Bewegung ohne treibendes Medium nicht vorstellen und sprach vom „horror vacui“, der Abneigung der Natur gegen das Leere. Erst 1644 konnte Evangelista Torricelli, mit einer Quecksilbersäule in einem gebogenen Glasrohr, ein Vakuum erzeugen und den Beweis liefern. Populär wurde das Vakuum durch Otto von Guericke, der im Jahr 1657 mehrere Pferde an zwei Metallhalbkugeln spannte, zwischen denen er ein Vakuum schuf. Der umgebende Luftdruck verhinderte, dass die Kugeln sich lösten. Dieser physikalische Versuch wurde zu einer gern gesehenen Attraktion. Mit der Möglichkeit präzisere Maschinen fertigen zu können, entstanden eine Vielzahl von Vakuumpumpen für unterschiedliche Anwendungsgebiete. Das Vakuumieren reduziert den Sauerstoffgehalt in einem Behälter. Dazu wird die Luft abgepumpt und das Gefäß luftdicht verschlossen. Gängige Vakuumierer verwenden Plastikbeutel, die nach Erzeugen des Vakuums, verschweißt werden. Dadurch wird das Eindringen von Sauerstoff, Feuchtigkeit oder Verunreinigungen verhindert. Das Vakuumieren verhindert nicht gänzlich das Verderben von Lebensmitteln, zögert aber den Verfall hinaus. Die Haltbarkeit verlängert sich ca. um das Drei- bis Fünffache. Durch die Reduzierung des Sauerstoffgehalts wird eine anaerobe (sauerstoffarme) Umgebung geschaffen, in der das Wachstum von Bakterien und pathogenen Erregern eingeschränkt ist. Gleichzeitig wird der Verlust von flüchtigen Bestandteilen, wie Aromen, durch Verdunstung verhindert. Das Vakuumieren lässt sich zur Lagerung von Lebensmitteln bei Raumtemperatur, im Kühl- oder Tiefkühlschrank nutzen. Auf diese Weise sind Lebensmittel länger genießbar und behalten nebenbei ihre Textur und ihr Aussehen. 17
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