Das Revival der Schiebleiter? Was für ein Paukenschlag: Die Hamburger Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Karen Pein, verkündete Mitte Februar 2025, dass für das Ziel eines kostengünstigen Wohnbaus nicht mehr die Drehleiter oder ein Sicherheitstreppenraum das Mittel der Wahl beim zweiten Rettungsweg sei, sondern die dreiteilige Schiebleiter wieder angerechnet wird – als erstes Land in Deutschland. Dies sei ab sofort »Hamburger Standard«. Auf diese Weise lassen sich bis zu 125 Euro Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche bei Neubauten einsparen, hieß es (siehe Meldung auf Seite 165 in dieser Ausgabe). JOCHEN THORNS brandSchutz-Chefredakteur Stuttgart Natürlich ist es gesellschaftliches wie politisches Ziel, günstigen Wohnraum zu schaffen. Und selbstverständlich müssen dafür auch überbordende Bürokratie abgebaut und möglicherweise nicht mehr zeitgemäße Normen, Richtlinien sowie Vorschriften überprüft und ggf. abgeschafft werden. Die Zulässigkeitserklärung der Schiebleiter bei Neubauten »per Federstrich« aus einem Projektteam ohne Beteiligung der Feuerwehr scheint jedoch zu kurz gesprungen. Denn gerade die Vorschriften zum Zweiten Rettungsweg und damit auch zu Flächen für die Feuerwehr, die zum Einsatz der Hubrettungsfahrzeuge benötigt werden, haben ihre Berechtigung und wurden über Jahrzehnte optimiert, um einen sicheren und wirkungsvollen Einsatz gewährleisten zu können. Wer könnte dies besser bestätigen als die Feuerwehr Hamburg, wurden in der Hamburger Speicherstadt mit den Westphalentürmen Ende des 19. Jahrhunderts doch die ersten Vorläufer der Sicherheitstreppenräume der Welt gebaut. Die Ankündigung der Senatorin scheint daher auch dem Wahlkampfmodus geschuldet sein; eine wirkliche Einbindung der Feuerwehr Hamburg ist nämlich erst kurz vor der Veröffentlichung erfolgt. Und es besteht ganz offensichtlich noch erheblicher Abstimmungsbedarf: Man stehe am Anfang eines Diskussionsprozesses, heißt es. Außerdem sei der Schiebleiter-Nachweis nur im Einzelfall möglich, und auch nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten in Hamburg zu sehen. Priorität habe die Drehleiter; nur wenn diese nicht genutzt werden kann, werde die Nutzung der Schiebleiter geprüft. Sowohl für die erfolgreiche Rettung von Menschen und Tieren als auch für die wirksamen Löscharbeiten bedingen sich die Wechselbeziehungen zwischen dem vorbeugenden und dem abwehrenden Brandschutz. Hier sollte auf die Expertise der Feuerwehren gesetzt werden. So können Dachgeschossausbauten beispielsweise mit einer brandschutztechnischen Ertüchtigung von Treppenräumen einhergehen. Aber die Schiebleiter per Nachweis als »zulässigen Rettungsweg« zu erklären, greift zu kurz. Nein, es besteht ein Widerspruch zwischen politischem Wunsch und realer Einsatzpraxis! Allein schon beim »Hamburger Median-Haus« (was als Beispiel bei der Betrachtung dient) mit fünf Vollgeschossen reicht die Leiterlänge der Schiebleiter nicht aus. Ein weiterer Aspekt der Entscheidung »pro Schiebleiter« betrifft die Feuerwehrbedarfsplanung. Sind die Funktionsstärken und die Eintreffzeiten bei der standardmäßigen Nutzung der dreiteiligen Schiebleiter und deren Vornahme mit zwei Trupps weiter korrekt bemessen? Und reicht die Besetzung eines Löschfahrzeuges mit einer Staffel auch in Zukunft aus, um die Maßnahmen des ersten Schutzziels einzuleiten? Das Argument, dass eine Menschenrettung über den zweiten Rettungsweg selten sei, verfängt nicht. Regelmäßig berichtet die Tagespresse, dass die Feuerwehr Menschen über die Drehleiter gerettet hat. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass eine Menschenrettung mittels Drehleiter immer häufiger zur Unterstützung des Rettungsdienstes mittels Krankentragenlagerung erfolgt. Dies ist auch Folge der älter werdenden Gesellschaft und deren Vereinzelung. Doch kann diese Rettung noch erfolgen, wenn es keine Flächen für die Feuerwehr gibt, da die Schiebleiter genutzt wird? Wie wichtig die Drehleiter für die Arbeit der Feuerwehr ist, zeigt diese Schwerpunktausgabe. Aus Anlass »20 Jahre HAUS-Regel« beleuchten wir verschiedene Themen rund um den »Einsatz mit Hubrettungsfahrzeugen«. 3/25 Deutsche Feuerwehr-Zeitung 163
Zeitschrift für das gesamte Feuerwehrwesen, für Rettungsdienst und Umweltschutz NILS BENEKE | JAN OLE UNGER Vorschlag für eine neue Qualifizierung für die Besatzung von Hubrettungsfahrzeugen Ganzheitliche Ausbildung für mehr Sicherheit © 2025 W. Kohlhammer, Stuttgart S. 166 3/2025
EINSAtz voN HUBrEttUNGSfAHrzEUGEN NILS BENEKE | JAN oLE UNGEr Vorschlag für eine neue Qualifizierung für die Besatzung von Hubrettungsfahrzeugen Ganzheitliche Ausbildung für mehr Sicherheit Die Besatzung von Hubrettungsfahrzeugen muss über einen hohen Ausbildungsstand verfügen, um in kritischen Einsatzsituationen kompetent handeln zu können. Aktuell gibt es zwei bedeutende Ausbildungskonzepte für Hubrettungsfahrzeuge – einerseits den Musterausbildungsplan für Maschinisten von 2012 und andererseits den EUROFFAD-Basiskurs für Besatzungen von Hubrettungsfahrzeugen von 2019. Im Folgenden werden die Ausbildungspläne näher betrachtet und die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Ausbildung erläutert. 1 Siehe auch Unger, J. O.; Beneke, N.: EUROFFAD auf Erfolgskurs: mehr als fünf Jahre europäische Standards, brandSchutz/Deutsche Feuerwehr-Zeitung 7/2024, S. 489 ff. 166 muss daher den Schwerpunkt von einer reinen Maschinisten-Ausbildung hin zu einer ganzheitlichen Schulung der gesamten Drehleiter-Besatzung verlagern. Es gibt aktuell zwei bedeutende Ausbildungskonzepte für Hubrettungsfahrzeuge: 1. Der Musterausbildungsplan für die Ausund Fortbildung an Hubrettungsfahrzeugen wurde von der Projektgruppe »Feuerwehr-Dienstvorschriften« ausgearbeitet. Der Musterausbildungsplan ist aus der Empfehlung für die Aus- und Fortbildung an Hubrettungsfahrzeugen der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren (AGBF-Bund) von 2011 hervorgegangen und wurde bei © 2025 W. Kohlhammer, Stuttgart Hubrettungsfahrzeuge gehören, ähnlich wie Rüstwagen und Gerätewagen »Gefahrgut«, zu den Spezialfahrzeugen der Feuerwehr, die mit einem selbstständigen Trupp (0/1/2/3) besetzt werden. Das bedeutet, dass die Besatzung dieser Fahrzeuge über einen sehr hohen Ausbildungsstand verfügen muss. In kritischen Einsatzsituationen, wie bei der Menschenrettung oder der Brandbekämpfung, müssen alle Einsatzkräfte sicher und kompetent handeln können. Solche Einsätze bergen erhebliche Gefahren, die nur durch intensives Training und regelmäßige Übungen beherrscht werden können. Der Musterausbildungsplan für die Aus- und Fortbildung an Hubrettungsfahrzeugen von 2012 der Projektgruppe »Feuerwehr-Dienstvorschriften« fokussiert sich stark auf die Ausbildung der Maschinisten von Drehleitern und Hubarbeitsbühnen. Der Basiskurs für Besatzungen von 2019, der im Rahmen des europäischen Projekts »European Standards für Rescuing and Firefighting with Aerial Devices« (EUROFFAD1) entstand, nimmt dagegen eine breitere Perspektive ein und integriert die gesamte Besatzung mit ihren unterschiedlichen Funktionen in den Ausbildungsprozess. Eine moderne Feuerwehrausbildung Analyse bestehender Ausbildungspläne Die komplette Besatzung von Hubrettungsfahrzeugen muss umfassend ausgebildet sein, um in kritischen Einsatzsituationen sicher und richtig handeln zu können. Deutsche Feuerwehr-Zeitung 3/25
Musterausbildungsplan für Maschinisten (2012) Der Musterausbildungsplan für die Ausund Fortbildung an Hubrettungsfahrzeugen aus dem Jahr 2012 legt den Schwerpunkt auf die technische Ausbildung der Maschinisten. Er umfasst einen 35-stündigen Lehrgang, der folgende Inhalte vermittelt: • Fahrzeugkunde und -technik, • Unfallverhütung und Sicherheitsvorschriften, • baurechtliche Grundlagen, • Fahrzeugbedienung und Notbetrieb, • Einsatzgrundsätze und taktische Grundlagen, • praktische Übungen und Leistungsnachweis. Siehe auch Unger, J. O.; Beneke, N.; Thrien, K.: Lehrgang »Maschinist für Hubrettungsfahrzeuge« in der FwDV 2?, brandSchutz/Deutsche Feuerwehr-Zeitung 10/2011, S. 766 ff. 3 Siehe auch Beneke, N.; Unger, J. O.: Europäische Ausbildungs- und Einsatzstandards für Besatzungen von Hubrettungsfahrzeugen, brandSchutz/Deutsche Feuerwehr-Zeitung 6/2019, S. 455 ff. Laut dem Musterausbildungsplan soll mindestens ein weiteres Besatzungsmitglied eine Maschinistenausbildung für Drehleitern absolvieren. Gleichzeitig wird jedoch für den Maschinistenlehrgang eine Fahrerlaubnis vorausgesetzt. Dieser Widerspruch erschwert die Ausbildung einer vollständigen Besatzung und verhindert eine praxisnahe Schulung der gesamten Besatzung – insbesondere von Truppangehörigen, die im Rettungskorb des Hubrettungsfahrzeugs eingesetzt werden, sowie von Führungskräften, die als Einheitsführer des Hubrettungsfahrzeugs (Qualifikation mindestens Gruppenführer) taktische Entscheidungen treffen müssen. EUROFFAD-Basiskurs für Besatzungen von Hubrettungsfahrzeugen (2019) Der Basiskurs für Besatzungen von Hubrettungsfahrzeugen von 2019 wurde im Rahmen des EUROFFAD-Projekts entwickelt. Dieser dreitägige Kurs (27 Stunden) zielt auf die gesamte Besatzung ab und ist damit im Kerngedanken schon einen bedeutenden Schritt weiter als der Musterausbildungsplan, der den Fokus sehr stark auf die Maschinisten legt. Die acht zentralen Lernergebniseinheiten (LE) sind: • Einsatzschema für Hubrettungsfahrzeuge, • Abstände, Freistandsgrenzen, Anleiterarten, Bei der Ausbildung für die Arbeit mit Hubrettungsfahrzeugen sollten nicht nur technisches Grundlagenwissen, sondern auch taktische und sicherheitsrelevante Schulungsinhalte vermittelt werden. • • • • • • Aufgaben der Besatzung, Unfallprävention, Anleiterbereitschaft, Technische Hilfeleistung, Brandbekämpfung, Menschenrettung. Anzeige Mehr Wissen. Mehr Sicherheit. Ihr Vorteil im Einsatz. #So geht Ausbildung Unsere zertifizierten Ausbildungen bringen Führungskräfte und Besatzungen von Drehleitern und Hubarbeitsbühnen auf das nächste Level – mit umfassendem Wissen zu Einsatztaktik, HAUS-Regel und Sicherheit. Jetzt t Angebo rdern! anfo 2 Mehr Informationen gibt es hier: Drehleiter.info ist eine Initiative der GFBA Gesellschaft für Brandschutzausbildung mbH ausbildung@drehleiter.info www.drehleiter.info 3/25 Deutsche Feuerwehr-Zeitung 167 © 2025 W. Kohlhammer, Stuttgart der 31. Sitzung des Ausschusses für Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung der Innenministerkonferenz (AFKzV) beschlossen. Der Musterausbildungsplan wurde den Ländern bei der Durchführung entsprechender Lehrgänge zur Beachtung empfohlen.2 2. Der Basiskurs für Besatzungen von Hubrettungsfahrzeugen von 2019 wurde im Rahmen des EUROFFADProjekts entwickelt, das von der Europäischen Kommission gefördert wurde. Innerhalb des Projekts EUROFFAD wurden unter der Federführung von Drehleiter.info, gemeinschaftlich mit der belgischen »Hilfeleistungszone DG« der deutschsprachigen Gemeinschaft, dem luxemburgischen »Corps grand-ducal d‘incendie et de secours« (CGDIS) und der österreichischen Landesfeuerwehrschule Tirol mehrere Ausbildungsmodule für Besatzungen und Führungskräfte, die Hubrettungsfahrzeuge einsetzen, entwickelt. Sämtliche Module können in allen Staaten der Europäischen Union problemlos in die Feuerwehr-Ausbildung integriert und übernommen werden.3 AUSBILDUNG
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