schafts pano rama EDITION 2024 OSTBELGIEN
Interview mit Nathalie Klinkenberg (Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Ostbelgien) und Philippe Felten (Präsident des Verwaltungsrates) Wie der Name bereits verrät, fördert die WFG die Wirtschaft in Ostbelgien. Welche Trümpfe hat Ostbelgien denn als Wirtschaftsstandort zu bieten? Ostbelgiens Wirtschaft 4 Brückenbauer durch Vielsprachigkeit 6 Duales Lernen 10 Wirtschaft und Wissenschaft 16 Zentrale Lage und Anbindung 22 Lebensqualitat 26 People Community 28 Kultur- und Kreativwirtschaft 30 Nachhaltigkeit34 Flächendeckendes Glasfasernetz 38 So klein und doch so groß 42 Die Kraft der kurzen Wege 44 UNTERNEHMENSPROFILE Rom 8 Belwood Amel 20 Kabelwerk Eupen 24 Paperplane Productions 31 Conserverie et Moutarderie Belge 36 LifeLive40 Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) spielt eine aktive Rolle bei der Förderung des Wirtschaftswachstums in Ostbelgien. Die Region zeichnet sich durch zahlreiche Vorzüge als attraktiver Wirtschaftsstandort aus. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen prägen das Wirtschaftsbild und profitieren von günstigen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung. Durch eine frühzeitige Förderung von Mehrsprachigkeit und kulturellem Verständnis sowie eine erstklassige Ausbildung im internationalen Vergleich werden optimale Voraussetzungen geschaffen. Die Nähe zu renommierten Hochschulen und Universitäten sowie die grenzüberschreitende Vernetzung verstärken diese Vorteile weiter. Nicht zuletzt sind Ostbelgier als hochmotivierte Arbeitskräfte gefragt, die einen bedeutenden Beitrag zur Wirtschaftsleistung der Region erfüllen. Ostbelgien ist keine strukturschwache Region. Die Beschäftigungsrate gehört zu den höchsten in ganz Belgien. Inwiefern braucht es in einer solchen Situation Wirtschaftsförderung? Ja, die hohe Beschäftigungsrate in Ostbelgien spricht zweifellos für unsere Region als attraktiven Standort zum Arbeiten, Leben und Wirtschaften. Dennoch spielt auch in strukturstarken Gebieten die Wirtschaftsförderung eine entscheidende Rolle. Selbst bei einer stabilen Wirtschaft sind Maßnahmen zur Förderung und Stärkung des Wirtschaftswachstums unerlässlich. Dazu zählen die Unterstützung von Existenzgründungen sowie die Sicherung bestehender Betriebe, die Diversifizierung der Wirtschaft, die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen, die Gewinnung und Bindung von Fachkräften und die Verbesserung der Infrastruktur. Diese Initiativen stärken die Wettbewerbsfähigkeit und steigern die Lebensqualität der Bewohner. Ein bekanntes Sprichwort besagt: „Was man hat, muss man pflegen.“ Daher dürfen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern müssen kontinuierlich in die Erhaltung und Weiterentwicklung unserer Stärken investieren. Ostbelgien ist eine Grenzregion und darüber hinaus eine sehr kleine Region. Die interregionale Mobilität ist dementsprechend hoch. Wie kann sich Ostbelgien da im Vergleich zu den benachbarten Regionen behaupten? Ostbelgien, im Herzen Europas, profitiert von exzellenten Verkehrsanbindungen, die es innerhalb von nur vier LKW-Stunden ermöglichen, über 40 Millionen Verbraucher zu erreichen, was etwa 20 % der EU-Kaufkraft entspricht. Darüber hinaus zeichnet sich die Region durch ihre Natur und ein familienfreundliches Umfeld aus, was sowohl Einheimische als auch Besucher anzieht. Dank seiner Kleinheit hat Ostbelgien auch erhebliche Vorteile zu bieten, wie kurze Wege und eine persönliche, bürokratiefreie Atmosphäre, die Unternehmen effizientes Handeln und erfolgreiche Entwicklung ermöglichen. Was kann die WFG für Unternehmen und Investoren tun, die ihre Aktivitäten in Ostbelgien starten oder ausdehnen wollen? Die WFG unterstützt Unternehmen und Investoren nicht nur durch ihr umfassendes Know-how und ihre Expertise, sondern auch durch ihre weitreichenden Partnerschaften und Netzwerke in Ostbelgien, der Wallonie sowie der Euregio Maas-Rhein und der Großregion. Unser Ziel ist es, unseren Kunden eine maßgeschneiderte Beratung anzubieten und ihre individuellen Bedürfnisse und Interessen durch die Nutzung unserer Partner und Netzwerke bestmöglich zu unterstützen. Ob es um Ansiedlung, Gründung, Sicherung, Erweiterung, Innovation, Export oder Nachfolge geht - wir stehen unseren Kunden in allen Bereichen des Unternehmertums zur Seite. IHR FAZIT? Ostbelgien bietet zahlreiche Vorteile und ist ein äußerst fruchtbarer Boden für die nachhaltige Entwicklung Ihres Unternehmens. Wir laden Sie herzlich ein, die Vielfalt und Attraktivität unserer Region auf den folgenden Seiten zu entdecken, und wünschen eine angenehme Lektüre! WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien OSTBELGIEN: KLEIN, ABER FEIN! 3
9 Gemeinden auf 846 km² KELMIS 2.200 QUELLE: MINISTERIUM DER DEUTSCHSPRACHIGEN GEMEINSCHAFT Arbeitgeber 23.000 Arbeitnehmer QUELLE: AVED.BE LONTZEN RAEREN WIE GROSS SIND OSTBELGISCHE BETRIEBE? 80,1 % 18,3 % 1,5 % EUPEN Amts-, Schul- und Gerichtssprache Deutsch 79.383 Einwohner Die Bevölkerung wächst langsam, aber stetig. Grund dafür ist die Einwanderung. In Ostbelgien leben 16.626 Ausländer, davon 11.411 Deutsche und 598 Niederländer. weniger als 10 Beschäftigte 10 bis 99 mehr als 100 Unter Arbeitgeber sind alle Betriebssitze zu verstehen, die in Ostbelgien Personal beschäftigen (unabhängig davon, wo sich der Sozialsitz befindet). Die Zahl der Arbeitnehmer entspricht der Zahl der Arbeitsstellen in diesen Betriebssitzen. 18,3 % BÜLLINGEN WIE HOCH IST DIE BRUTTOWERTSCHÖPFUNG? QUELLE: STATBEL / STAND: 01.01.2023 Mio. € Herstellende Industrie AMEL 480,1 Handel und Reparatur 283,4 Erziehung und Unterricht BURG-REULAND 204,3 Öffentliche Verwaltung ST. VITH TOP 5 Grundstücks- und Wohnungswesen 226,7 191,3 QUELLE: INSTITUT FÜR VOLKSWIRTSCHAFTLICHE GESAMTRECHNUNGEN / STAND: 2022 BELGIEN GEHÖRT ZU DEN PRODUKTIVSTEN LÄNDERN WELTWEIT. Im OECD-Ranking des BIP pro geleistete Arbeitsstunde liegt Belgien mit 72,9 USD auf dem 8. Platz hinter Irland (131,6 USD), dem Großherzogtum Luxemburg (100,2 USD), Norwegen (84,3 USD), der Schweiz (77,7 USD), Schweden (74,8 USD), Dänemark (74,3 USD) und den USA (73,9 USD) und weit über dem EU-Durchschnitt von 55,7 USD. QUELLE: OECD / STAND 2022 4 1,5 % QUELLE: LANDESAMT FÜR SOZIALSICHERHEIT / STAND: 30.06.2022 BÜTGENBACH 61.923 Belgier (78,02 %) 14.148 EU-Bürger (17,82 %) 3.312 Nicht-EU-Bürger (4,17 %) 80,1 % Ostbelgien ist ein attraktiver Lebensraum mit einer erfolgreichen Wirtschaft. Die Region ist geografisch in einen potenten internationalen Raum eingebettet. Sie hat eine hohe Dichte an hervorragenden, international orientierten Unternehmen und ein starkes Rückgrat aus leistungsfähigen Klein- und Mittelbetrieben in vielfältigen Branchen. Ostbelgien profitiert von der Kraft seines verarbeitenden Gewerbes aus Industrie, Handwerk inkl. Bau. Das ist das pulsierende Herz der ostbelgischen Wirtschaft, das sich in den letzten Jahrzehnten sehr gut entwickelt und wesentlich zur Lebensqualität aller und zur Sicherung der Sozialstabilität beigetragen hat. Bernd Hugo, Vize-Präsident des Arbeitgeberverbandes in der Deutschsprachigen Gemeinschaft (AVED) WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien Wirtschaft 6.500 OSTBELGIEN 5
Ostbelgien ist ein überschaubares Gebiet an der Grenze zu Deutschland, den Niederlanden und dem Großherzogtum Luxemburg (nahezu 80.000 Einwohner, 846 km²), verfügt aber über eine weitreichende Autonomie. Deutsch fungiert dort nicht nur als Amts-, Schul- und Gerichtssprache, sondern ist auch die Muttersprache der Mehrheit. Hier verschmelzen zwei Kulturen: die germanische und die romanische. Ostbelgier werden einerseits für ihren „preußischen“ Arbeitseifer geschätzt, andererseits für ihr französisches Savoir-vivre bewundert. Diese Vielfalt macht sie zu wahren Brückenbauern und Netzwerkern. Der Schlüssel dazu liegt in der frühkindlichen Förderung der Mehrspra6 Das Dreiländereck in Kelmis – ein Schnittpunkt von Kulturen und Sprachen. FOTO: FRANS BERKELAAR chigkeit. Bereits im Kindergarten, der in Belgien als integraler Bestandteil des kostenlosen Schulsystems gilt, werden Kinder spielerisch an ihre erste Fremdsprache herangeführt. Dies setzt sich in der Primarschule fort, wo die Zweitsprache weiterentwickelt wird. In den Sekundarschulen kommen je nach Abteilung Englisch und Niederländisch oder sogar Spanisch hinzu. Immer mehr Schulen bieten bilinguale Klassen an, in denen Deutsch und Französisch gleichzeitig und von Muttersprachlern unterrichtet werden – vom Kindergarten bis zum Abitur. ZWEISPRACHIG Immer mehr Schulen bieten bilinguale Klassen an, in denen im Verhältnis 60 zu 40 in deutscher und französischer Sprache unterrichtet wird. CHINESISCH In den Sekundarschulen kommen je nach Studienrichtung Englisch, Niederländisch, Spanisch oder sogar Chinesisch (Schulgemeinschaft BSTI) hinzu. EINE 2. SPRACHE 37 % der Primarschüler in Belgien lernen eine zweite Sprache. In der Deutschsprachigen Gemeinschaft sind es 98,6 % (QUELLE: EUROSTAT) DELF-TEST 83,36 % aller Schüler in Ostbelgien haben den DELF-Test bzgl. Französischkenntnisse bestanden. (QUELLE: MINISTERIUM DER DEUTSCHSPRACHIGEN GEMEINSCHAFT) WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien BRÜCKENBAUER DURCH VIELSPRACHIGKEIT prache Französisch als erste Fremdsprache ist in Ostbelgien Pflicht und wird schon im Kindergarten auf spielerische Art und Weise vermittelt (bis zu 200 Minuten pro Woche). 7
Unter der Leitung von Geschäftsführer Paul Rom hat das innovative Unternehmen eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht. „Es ist immer frustrierend, wenn Verkaufsgespräche abgebrochen werden müssen, weil individuelle Kundenwünsche nicht erfüllt werden können. Daher haben wir uns zur Aufgabe gemacht, nahezu jeden Wunsch zu erfüllen, indem wir uns von Serienprodukten verabschieden und uns auf die maßgeschneiderte Fertigung von Einzelstücken konzentrieren. Damit können Billigproduzenten aus China und anderen Ländern nicht mithalten“, so Paul Rom. Die Umsetzung dieser Vision im Gespräch zwischen dem Möbelverkäufer und dem Kunden war eine echte Herausforderung. Gedruckte Kataloge und Preislisten konnten diese komplizierte Aufgabe nicht mehr bewältigen. So entstand bereits vor der Ära des iPads die Idee eines digitalen Konfigurators. Paul Rom fährt fort: „Nicht, um Produkte futuristisch darzustellen, sondern um die Komplexität zu reduzieren und den Verkaufsprozess einfach, schnell und fehlerfrei zu gestalten.“ Seit mittlerweile 12 Jahren wird das Konfigurator-System von Rom haus- intern kontinuierlich weiterentwickelt. Heute steht Möbelverkäufern ein äußerst effizientes und kundenfreundliches Verkaufstool zur Verfügung, das in der Möbelbranche seinesgleichen sucht. Obwohl aus Kostengründen die Produktion dennoch nach Polen verlagert wurde, blieb die Unternehmenszentrale von Rom in Eupen, einschließlich Design, Produktentwicklung, Finanzen, Beschaffung, IT, Marketing und Vertrieb. Dies hat seinen Grund, wie der Geschäftsführer erläutert: „In Ostbelgien leben wir mit verschiedenen Sprachen, aber auch mit verschiedenen Kulturen. Die Menschen in Ostbelgien sind offen für die Art und Weise, wie Geschäftsbeziehungen in anderen Ländern gepflegt werden. Dies ist für unseren Erfolg noch wichtiger als unsere Mehrsprachigkeit. Die Offenheit und kulturelle Vielfalt der Ostbelgier ermöglicht es ihnen, internationalen Handelspartnern auf Augenhöhe zu begegnen und ein tiefes Verständnis für verschiedene Märkte zu entwickeln. Wir sind hier buchstäblich mit der Nase mitten in den vielfältigen Märkten Westeuropas – ein unschätzbarer Standortvorteil!“ Die Menschen in Ostbelgien sind offen für die Art und Weise, wie Geschäftsbeziehungen in anderen Ländern gepflegt werden. Rom AG Industriestraße 38 4700 Eupen www.rom1961.com WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien NNOVATIO INNOVATIV UND UNBEIRRT IM WETTBEWERB GEGEN FERNOST Der europäische Möbelsektor sieht sich seit Jahrzehnten der harten Konkurrenz aus Fernost gegenüber, die mit ihren niedrigen Produktionskosten die Branche erschüttert. Doch der Eupener Polstermöbelhersteller Rom hat sich entschlossen, einen anderen Weg zu gehen: Er hat sich als unangefochtener Marktführer im Bereich maßgeschneiderter Sofas und Sessel etabliert, was ihm ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal verleiht. 9
Werk OSTBELGISCHE HANDWERKER SIND WELTSPITZE! Immer wieder vertreten junge ostbelgische Handwerker die belgischen Farben bei den World- oder Euroskills, wo sich die besten Handwerker welt- oder europaweit messen. Sie schneiden sehr regelmäßig besonders gut ab. So holte John Wiesemes aus Recht zum Beispiel bei den World Skills 2022 in Dresden und bei den Euroskills 2023 in Danzig die Exzellenz-Medaille in der Sparte Automechaniker/Mechatroniker. Braucht es noch mehr Beweise für die Qualität des ostbelgischen Handwerks? DUAL ERFOLGREICH IN DIE ZUKUNFT Ostbelgiens Wirtschaftsstandort zeichnet sich durch kleine Unternehmen und Betriebe im herstellenden Gewerbe aus, wobei 81 % (2) der Arbeitgeber weniger als 10 Beschäftigte haben. Dieses Umfeld macht die duale Ausbildung zum effizientesten Weg der Nachwuchssicherung. Es werden genau die Fachkräfte ausgebildet, die benötigt werden. Gleichzeitig ist die Ausbildungsbereitschaft der ostbelgischen Betriebe sehr groß. Die Zahlen sprechen für sich: In den letzten Jahren wurden durchschnittlich 500 Auszubildende und 300 Meisterkandidaten in über 500 aktiven Ausbildungsbetrieben ausgebildet. (3) Die duale Ausbildung öffnet nicht nur den direkten Weg ins Berufsleben, sondern ermöglicht auch die Meisterausbildung und den Erwerb der Hochschulreife nach einem Vorbereitungsjahr. Nicht zuletzt ermöglichen belgisch-deutsche Doppelabschlüsse grenzüberschreitende Karrieren. (1) QUELLE: ARBEITSAMT DER DEUTSCHSPRACHIGEN GEMEINSCHAFT / STAND 31.12.2023 (2) QUELLE: LANDESAMT FÜR SOZIALE SICHERHEIT / STAND: 30.06.2020 (3) QUELLE: IAWM 10 Exzellenz-Medaille für John Wiesemes bei den Euroskills 2023 in Danzig. FOTO: FRANK ERPÎNAR WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien Die duale Berufsausbildung in Ostbelgien beeindruckt durch ihren Erfolg. Die enge Verzahnung von schulischer und betrieblicher Ausbildung zeigt ihre Wirkung: Die Jugendarbeitslosenquote liegt bei 13 % und ist somit die niedrigste in ganz Belgien. 11
„Dass die duale Ausbildung gerade bei uns, im kleinsten Teil Belgiens, Modellcharakter hat, liegt daran, dass die Ausbildung der eigenen zukünftigen Fachkräfte den Betrieben im deutschsprachigen Raum seit jeher wichtig ist“, weiß Dr. Verena Greten, Direktorin des Instituts für Aus- und Weiterbildung im Mittelstand (IAWM). Im deutschsprachigen Raum werden Handwerker von Berufsschulen und Betrieben gemeinsam ausgebildet. Diese Vorgehensweise garantiert eine Ausbildung, die hohen Ansprüchen gerecht wird und sich an den Bedürfnissen der Unternehmen orientiert. Absolventen sind deshalb sofort einsetzbar und weit über die Grenzen der Region heiß begehrt. DIE DUALE AUSBILDUNG IN OSTBELGIEN HAT MODELLCHARAKTER Rund 95 % aller Lehrlinge in Ostbelgien finden innerhalb von sechs Wochen nach Erhalt ihres Gesellendiploms eine feste Anstellung – meist in ihrem Ausbildungsbetrieb. Jedes Jahr aufs Neue. Die duale Ausbildung hat hierzulande Tradition und ist ein wahres Erfolgsmodell. Unter anderem Flandern und die Wallonie lassen sich gerne davon inspirieren. Mehr als 70 Berufe werden an den beiden Standorten des Ausbildungszentrums (ZAWM) in Eupen und St. Vith oder in Kooperation mit dem wallonischen IFAPME oder ausländischen Bildungszentren vermittelt – also nicht nur ausschließlich technische und Handwerksberufe, sondern auch Berufe in Handel und Dienstleistung. Und jährlich kommen neue dazu, wie neulich der Produktdesigner. „Wir sind in Ostbelgien durch unsere Kleinheit flexibler. Stellen wir den Bedarf an ei- HANDWERK IST TOP! „Jungen Menschen eine gute und fundierte Berufsorientierung zu ermöglichen und sie in die Welt der Berufe reinschnuppern zu lassen, sind die bewährten Schlüssel zum späteren Erfolg“, laut Dr. Verena Greten. Doch die Politik will die Berufswahlorientierung noch weiter optimieren. Dabei sollen zukünftig unter anderem die Kompetenzen, Interessen und haptischen Fähigkeiten in einem Talentcenter systematisch getestet werden. Gleichzeitig fordert das IAWM die Betriebe auf, sich attraktiver zu präsentieren und zu zeigen, wie toll die verschiedenen Berufe sind. All das, um Schüler und Betriebe passgenau zusammenzubringen. „Umso besser das Gesamtbild des Schülers und umso konkreter das Berufsbild beim Schüler, desto erfolgreicher wird die Berufsorientierung sein und damit steht einer erfolgreichen Ausbildung nichts mehr im Weg“, versichert Dr. Greten. 4.500 4.425 4.463 Neue Ausbildungsverträge in der dualen Ausbildung Ostbelgiens 300 250 200 4.405 4.350 4.200 IAWM Vervierser Str. 4A 4700 Eupen www.iawm.be Die Anzahl der Jugendlichen in der Altersschicht 15 bis 19 Jahren sinkt seit Jahren stetig. Doch die Anzahl Auszubildender bleibt stabil. Ein Beweis der Attraktivität des Handwerks in Ostbelgien. Bevölkerungszahlen der 15- bis 19- Jährigen in Ostbelgien 4.275 12 nem bestimmten Berufsprofil im Markt fest, schauen wir, ob es eine entsprechende Ausbildung in den Nachbarregionen gibt und stellen ggf. Kooperationen auf die Beine. Da geht viel. Da vergeht höchstens ein Ausbildungsjahr, bis wir eine Lösung haben“, erläutert die IAWM-Direktorin pragmatisch. 4.322 4.297 4.320 4.292 150 100 50 0 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2018 2019 2020 2021 2022 2023 WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien USBILDUN Jungen Menschen eine gute und fundierte Berufsorientierung zu ermöglichen und sie in die Welt der Berufe reinschnuppern zu lassen, sind die bewährten Schlüssel zum späteren Erfolg. Dr. Verena Greten, Direktorin des Instituts für Ausund Weiterbildung im Mittelstand (IAWM) 13
Schreinerinnung Ostbelgien – eine Betriebsdichte, die innerhalb Europas ihresgleichen sucht. Lediglich das österreichische Vorarlberg kann da mithalten. Die Schreinerei von Philipp Gonay in der Eifel ist eine von ihnen. Ebenfalls ist er Vorsitzender der Königlichen Schreinerinnung Ostbelgien und unterrichtet im Zentrum für Aus- und Weiterbildung des Mittelstandes. „Ostbelgisches Handwerk wird bis weit über die Grenzen der Region sehr geschätzt“, sagt er. Und er weiß auch weshalb. In vielen Regionen seien im Zuge der Industrialisierung aus kleinen Handwerksbetrieben große Industrieunternehmen entstanden. In Ostbelgien aber zunächst nicht. „Weil wir abseits der Industriebecken gelegen waren, ist diese Entwicklung größtenteils an uns vorbeigegangen.“ In den letzten Jahrzehnten seien aber auch hierzulande viele dieser Betriebe zu starken und erfolgreichen mittelständischen Unternehmen herangewachsen. Aus dieser Handwerkstradition heraus und darauf aufbauend seien die hiesigen Unternehmen auch mobil geworden. Von Brüssel bis Köln und im Großherzogtum Luxemburg seien ostbelgische Schreiner sehr gefragt. Weil sie das Handwerk beherrschen, das in anderen Regionen oft schon vom Aussterben bedroht ist. Dort werden fast nur noch Holzwerkstoffplatten verarbeitet. „Wenige arbeiten dort noch mit Massivholz oder sind in der Lage, denkmalgeschützte Gebäude mit althergebrachten Arbeitsmethoden zu restaurieren“, so Gonay. Philipp Gonay, Vorsitzender der Königlichen Schreinerinnung Ostbelgien FOTO: PHILIPP GONAY Er schwärmt: „Durch den Bedarf des blühenden Handwerks in Ostbelgien ist auch das Netzwerk an Zulieferbetrieben sehr groß und vielfältig. Man kann jeden Kundenwunsch, so ausgefallen er auch sein mag, erfüllen. Denn für jedes Gewerk und jede Spezialisation gibt es in Ostbelgien ein Unternehmen, das genau das Teil produzieren kann, so wie man es braucht – und zwar jetzt und hier, ohne lange Lieferzeiten!“ Der Vorsitzende der Schreinerinnung ist sich sicher: „Dieses Können muss erhalten bleiben. Das ist unsere Stärke!“ Deshalb sei eine hochwertige Handwerksausbildung wichtig: eine Ausbildung, die in der Deutschsprachigen Gemeinschaft seit eh und je von und mit den Betrieben organisiert wird. „Die Lehrprogramme entsprechen den Bedürfnissen der Betriebe und die Innung stellt die Prüfungsjury in den Schulen und Ausbildungszentren, während die praktische Ausbildung im Betrieb geschieht“, so der Schreinermeister überzeugt. Im Zuge der französischen Revolution seien in den betroffenen Ländern die Innungen abgeschafft und die Ausbildung verstaatlicht worden. Die duale Ausbildung, so wie sie in den deutschsprachigen Ländern und Regionen Europas praktiziert wird, sei allerdings die beste Garantie für hochqualifizierte Fachkräfte. Und so auch in Ostbelgien. Ostbelgisches Handwerk wird bis weit über die Grenzen der Region sehr geschätzt! 14 WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien holz TRADITION TRIFFT INNOVATION: OSTBELGIENS HANDWERK SETZT MASSSTÄBE 15
DIE MIT IHREM LOGO GEKENNZEICHNET SIND, BESTEHT SEITENS DER DEUTSCHSPRACHIGEN GEMEINSCHAFT EINE KOOPERATION. WIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT BESTENS VERNETZT Ostbelgien ist nicht nur Heimat für eine beeindruckende Palette an erfolgreichen, vorwiegend mittelständischen Unternehmen, sondern zeichnet sich auch durch eine intelligente Zusammenarbeit mit Hochschulen in der weiteren Region aus. Besonders positiv hat sich in den vergangenen Jahren die Kooperation mit zwei Hochschulen entwickelt: der HEC Liège - School of Management und der FH Aachen – University of Applied Sciences. Regelmäßig finden informelle Treffen zwischen Unternehmern aus Ostbelgien, Wissenschaftlern und Studierenden statt, bei denen Letztere in die Betriebe eingeladen werden. Diese Begegnungen schaffen nicht nur Verbindungen, sondern ermöglichen es den Studie- UHASSELT HOGESCHOOL PXL HASSELT renden auch oft, das Unternehmen zu finden, in dem sie ihre Abschlussarbeit verfassen, oder sogar auch ihren zukünftigen Arbeitgeber kennenlernen. Lokale Unternehmen wiederum erhalten direkten Zugang zu wissenschaftlicher Expertise und finden in Studien, Produktentwicklung oder allgemeinen Forschungsfragen kompetente Ansprechpartner in diesen Bildungseinrichtungen. Ein herausragendes Beispiel für die fruchtbare Zusammenarbeit ist das gemeinsame MBA-Studienangebot für erfahrene Führungskräfte in Eupen, das von der HEC Liège - School of Management in Lüttich, der FH Aachen und der Universität Hasselt angeboten wird. Darüber hinaus besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, duale Bachelorausbildungen der FH Aachen in Ostbelgien zu absolvieren – eine innovative Initiative, die den Bedürfnissen der Region entspricht. WISSENS16 HEERLEN MAASTRICHT UM MAASTRICHT HOGESCHOOL ZUYD HEERLEN KATHOLISCHE HOCHSCHULE AACHEN RWTH AACHEN FH AACHEN HELV VERVIERS LÜTTICH AACHEN VERVIERS ULIÈGE HEC HELMO LÜTTICH HUY VERVIERS AUTONOME HOCHSCHULE EUPEN HAUTE ECOLE CHARLEMAGNE LÜTTICH HUY VERVIERS HEPL LÜTTICH VERVIERS LA REID ST. VITH HEL LÜTTICH LUXEMBURG UNIVERSITÄT LUXEMBURG WIRTSCHAFTSPANORAMA Ostbelgien Wer in der Welt der Innovation als Region klein ist, muss clever sein, seine Grenzen überwinden, Brücken schlagen und eine erfolgreiche Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft vorantreiben. HASSELT 17
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